Gabriele Fröschl, Österreichische Mediathek
Vergängliche Stunden, sie leben doch nicht länger, als der Letzte sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus.Arthur Schnitzler, 1907
(Foto: Österreichische Mediathek)
www.akustische-chronik.at: Das ist das Portal zur umfangreichsten multimedialen Darstellung österreichischer Zeitgeschichte im Internet. In dieser neuen Webausstellung der Österreichischen Mediathek illustrieren hunderte, zum Teil bisher unveröffentlichte, Töne und Videos die österreichische Geschichte von 1900 bis 2000. Ergänzt wird der akustische Eindruck durch reichhaltiges Bildmaterial und Chronikdaten.
Töne vermögen, was schriftlichen Darstellungen oftmals nicht gelingt: Sie bieten einen unmittelbaren Eindruck des Geschehens, bilden das Unbeschreibbare akustisch ab und öffnen eine Brücke in die Vergangenheit. Was nicht bedeutet, dass Töne dadurch neutrale, wahrheitsgetreue und objektive Zeugen der Zeit sind - sie stehen nicht für sich, sondern unterliegen ebenso dem Zeitgeist, der Propaganda und der Manipulation wie alle anderen Quellen; deshalb ist nicht nur der Ton an sich von Interesse sondern im selben Maße sein Umfeld, seine Entstehungsgeschichte und immer wieder auch der Zweck der einzelnen Tonaufnahme. Die Einordnung der Tondokumente in ihren historischen Kontext ist deshalb ein ganz wesentlicher Teil der Webausstellung.
In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts sind Tonaufzeichnungen nur vereinzelte Schlaglichter, die den Blick in eine Zeit eröffnen, als diese Medien noch in den Kinderschuhen stecken. Es finden sich wenige Dokumente, die den Alltag veranschaulichen; aufgezeichnet wurden vor allem herausragende Ereignisse oder Stimmporträts berühmter Persönlichkeiten wie etwa von Kaiser Franz Joseph aus dem Jahr 1900.
Screenshot der Homepage (Foto: Österreichische Mediathek)
Die Jahre zwischen den beiden Weltkriegen waren für Österreich schwierige und unruhige Zeiten. Die Überlieferung an Tondokumenten ist auch für diese Zeit noch dünn, ein Umstand, der sich auch mit der Einführung des Radios in Österreich im Jahr 1924 nicht wesentlich ändert: Hier ist weniger an Aufnahmen vorhanden, als man glauben möchte, ein Beweis dafür, wie flüchtig diese Form des Erinnerns sein kann, wenn man nicht rechtzeitig Vorsorge trifft.
Dichter wird die Überlieferung in den 1930er Jahren. Die politische Situation entwickelte sich dramatisch, was sich auch an der aufgeheizten Stimmung mancher Tondokumente nachvollziehen lässt. Der autoritäre Ständestaat 1933 - 1938, der Bürgerkrieg 1934, die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 und der Zweite Weltkrieg: Hier wurden tiefe Gräben aufgerissen, politisch, gesellschaftlich und kulturell. Es wird die wirtschaftliche Not greifbar, die politische Radikalität, die ihren Ausdruck auch in bewaffneten Auseinandersetzungen der beiden ideologischen Blöcke der 1. Republik und dem Terror der Nationalsozialisten fand - und man kann anhand von Massenveranstaltungen nachvollziehen, wie verführbar Propaganda macht.
Mit Kriegsende und Befreiung waren die vier Besatzungsmächte im Land noch allgegenwärtig - und gleichzeitig begann sich Österreich neu zu orientieren. In diesem Zeitabschnitt wird vor allem die Webausstellung www.staatsvertrag.at in die akustische Chronik eingebunden, die Politik, Alltag, Lebensgefühl und Kultur des Nachkriegsjahrzehnts wieder lebendig werden lässt und die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Facetten dieser Zeit aufzeigt.
Ab den 1960er Jahren ist es auch für die heutige Internetgeneration ein Wiederhören, Töne und Videos lassen so manche Kindheitserinnerung aufleben. - Das Ende ist offen, die akustische Chronik wird laufend aktualisiert und bleibt damit ein profundes Nachschlagwerk und eine lebendige Darstellung der jüngeren österreichischen Geschichte im Netz.
Screenshot der Homepage (Foto: Österreichische Mediathek)
Die Webausstellungen der Österreichischen Mediathek haben in den letzten Jahren die Archive für ein größeres Publikum geöffnet. Dies soll mit www.akustische-chronik.at weitergeführt werden: Webausstellungen bieten Zuhause oder in Schulen und Universitäten einen zeitlich und örtlich unabhängigen Zugriff auf Originalquellen - herausgelöst aus der klassischen Museumslandschaft und derart präsentiert, dass sowohl historisch Interessierte als auch wissenschaftlich Arbeitende auf ihre Kosten kommen.
Und nicht zuletzt: hinter all dem, was User/innen im Netz hören können, steht das digitale Langzeitarchiv der Österreichischen Mediathek, das gewährleistet, dass diesen vergänglichen Stunden auch tatsächlich Dauer verliehen wird, über ihre Zeit hinaus.
Juni 2007
|