Andreas Henning, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Die Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden besitzt seit kurzem ein virtuelles Gegenstück in der Online-Welt von Second Life®. Dort sind die prächtigen Räume des Museums dreidimensional und maßstabsgetreu nachgebildet. In den virtuellen Räumen können die 750 Meisterwerke rund um die Uhr betrachtet werden, wobei zusätzlich Informationen zugänglich sind. Andreas Henning stellt in seinem Beitrag dieses innovative Projekt vor und bietet durch verschiedene Abbildungen Einblicke in die virtuelle Welt der Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erproben die neuen Möglichkeiten des Web 2.0, um ungewohnte Wege in der Kommunikation zu beschreiten. Seit dem 30. Mai 2007 besitzt die Gemäldegalerie Alte Meister eine Dependance in der Online-Welt von Second Life®. Dreidimensional und maßstabsgetreu sind die prächtigen Räume des Museums nachgebaut, alle 750 ausgestellten Meisterwerke werden präsentiert. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche stehen die Türen für die Besucher offen: In Echtzeit kann man die Kunst anschauen, mit den anderen Besuchern kommunizieren, Informationen zu den Kunstwerken abrufen, an Veranstaltungen der Kunstvermittlung teilnehmen, Eindrücke im Gästebuch notieren oder sich im Shop umsehen.
Abbildung: Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)
Der virtuelle Klon der Gemäldegalerie Alte Meister steht auf der Insel Dresden Gallery, die mehr als 300.000 qm umfasst. Dort ist der komplette Zwinger errichtet, eine der schönsten Anlagen aus dem barocken Dresden. Teil des Zwingers ist das große Gebäude der Gemäldegalerie Alte Meister, erbaut im Stil der Neo-Renaissance Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis zu 14 Designer und Programmierer waren drei Wochen damit beschäftigt, dieses einzigartige Architekturensemble virtuell nachzubauen und sämtliche Innenräume der Gemäldegalerie Alte Meister auszustatten: alle 54 Säle und Kabinette, Gemälde, Pastelle und Gobelins, das Foyer und Treppenhäuser sind zu sehen.
Kein Reproduktionsmedium konnte bislang in Echtzeit den räumlichen Eindruck eines Museumsbesuchs so wirkungsvoll suggerieren. Dabei ist die Geschichte der Museen seit Anbeginn auf das Engste verknüpft mit der Historie der Reproduktionsmedien. Beispielsweise erschien 1753, kurz nachdem August III., der sächsische Kurfürst und König von Polen, die Gemäldegalerie in Dresden eröffnet hatte, das Königliche Galeriewerk: In Form von großen Kupferstichen präsentierte es die Schätze der Sammlung. Im Laufe der Jahrhunderte wurden neue Medien eingesetzt, von der Fotografie bis zur CD-ROM. Es erscheint deshalb folgerichtig, sich dem aktuellen Entwicklungsschritt der Reproduktionsmedien zu stellen und virtuell ein dreidimensional erfahrbares Museum einer weltweiten Community in Echtzeit zugänglich zu machen.
Abbildung: Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)
Die Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister ist das erste Museum von internationalem Format, das auf die neuen Herausforderungen des Webs mit einem echten Klon seiner selbst reagiert, eins zu eins. Damit unterscheidet sich das Konzept grundsätzlich von den vielen rein fiktiven Museumskreationen im Netz, die kein Pendant im Real Life haben wie zum Beispiel der sogenannte Second Louvre oder das Space Flight Museum. Der Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister fordert ausdrücklich zur kritischer Auseinandersetzung auf: Zu Beginn des großen Kunstsommers 2007, an dem sich die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit einer Vielzahl von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst beteiligen, werden durch den virtuellen Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister zentrale Fragen des Selbstverständnisses eines Museums im 21. Jahrhundert zur Diskussion gestellt.
Voraussetzung für den Besuch der virtuellen Gemäldegalerie Alte Meister ist eine eigene Figur in Second Life, Avatar genannt (im Basic-Account kostenlos). Das Museum lässt sich innerhalb von Second Life problemlos über Suchbegriffe finden, zum Beispiel mit dem Namen der Insel Dresden Gallery. Mit dem Avatar bewegt man sich durch diese dreidimensionale Welt und kann in Echtzeit auch mit allen anderen Teilnehmern kommunizieren. Second Life unterscheidet sich dabei konzeptuell von herkömmlichen Online-Spielen, da der Schwerpunkt auf der sozialen Interaktion und der Erstellung von Inhalten liegt. Deshalb weist die Community eine signifikante Besonderheit auf: Sie hebt sich in der Geschlechter- und Altersstruktur von allen anderen Plattformen deutlich ab. Das Durchschnittsalter ist mit mehr als 30 Jahren für eine Internet-Community überraschend hoch, und anders als die nur von jugendlichen, durchweg männlichen Spielern dominierten Web-Games ist die Verteilung der Geschlechter in Second Life fast paritätisch besetzt. Damit stellen die Mitglieder von Second Life gerade auch für Museen eine interessante Klientel dar.
Abbildung: Gobelinsaal, Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)
Der Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Second Life ist ein Experiment, bei dem sich erst noch herausstellen wird, was die Bewohner der künstlichen Internet-Welt mit dem einmaligen Angebot anfangen werden. Das Institut für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden wird dieses Experiment unter der Leitung von Prof. Dr. Lutz M. Hagen als Projekt wissenschaftlich begleiten. Der virtuellen Dependance des Museums liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass sich über das neue dreidimensionale Web erstmals zwei Schlüsselerlebnisse eines Museumsbesuchs transportieren lassen: Raum und Interaktion. Das Erlebnis des Raums ist existentiell mit der Kunsterfahrung im Museum verbunden. Das Betrachten eines Kunstwerks aus der Ferne, die schrittweise Annäherung, dann das Fokussieren von Details und schließlich der vergleichende Blick auf andere Kunstwerke im Raum, all diese Bewegungen prägen die Rezeptionshaltung eines Besuchers im Museum. Hinzu kommt als zweites Kernerlebnis die soziale Komponente. Ob explizit oder auch nur stillschweigend, immer steht der Rezipient in Interaktion mit anderen Besuchern und erlebt den Gang durch ein Museum auch als soziales Ereignis.
Raum und Interaktion, zwei grundlegende Schlüsselerlebnisse eines Museumsbesuchs, können mit dem Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister in Second Life suggeriert werden. Das heißt aber nicht, dass damit der reale Besuch ersetzt wird. Die virtuelle Gemäldegalerie Alte Meister soll neugierig machen auf den Museumsbesuch im Real Life. Die Kritik an sämtlichen Reproduktionstechniken, die im Laufe der Jahrhunderte auf den Markt kamen, hat immer wieder gezeigt, dass mediale Auftritte nur Andeutungen sein können und auch nur Andeutungen sein dürfen. So kann die virtuelle Dependance auch nicht die zentrale Schlüsselfähigkeit eines Museumsbesuchs ersetzen, die sinnliche Wahrnehmung vor dem Original. Explizit werden deshalb die virtuellen Besucher beim Eintrag ins Gästebuch gefragt, wie sie die Differenz in der Wahrnehmung eines Kunstwerks im wirklichen Leben und in Second Life beurteilen.
Abbildung: Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life (Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden)
Niemals zuvor in der Geschichte der Reproduktionsmedien konnte der Gegensatz zwischen der leibhaftigen Kunstbetrachtung im Museum und ihrer bloß medialen Vermittlung in eine größere Opposition gebracht werden. Die reale Gemäldegalerie Alte Meister und ihr virtueller Klon bilden extreme Polaritäten: In diesem Spannungsfeld soll das neue Kommunikationsexperiment der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden stattfinden. Folgende Interaktionsmöglichkeiten werden den virtuellen Besuchern geboten:
Bewusst ist das Projekt ausbaufähig gehalten, so dass in Zukunft bei Bedarf weitere Interaktionsmöglichkeiten geschaltet werden können. Eigens wurde für das Projekt auch eine Homepage geschaltet: www.dresdengallery.com. Dort ist ein Link zu finden, mit dem sich die Community von Second Life direkt zum Museum beamen lassen kann. Die Homepage präsentiert das Projekt zudem für alle diejenigen Internetnutzer, die keine eigene Figur in Second Life besitzen.
Idee und Projektleitung: Dr. Andreas Henning, Kurator für italienische Malerei, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister.
Kooperationspartner:
Technische Realisierung:
Avantgarde Gesellschaft für Kommunikation, München.
Homepage:www.dresdengallery.com